Was tun gegen Littering?

Was am wenigsten funktioniert, ist das Anprangernde

Was lässt Menschen achtlos Dinge auf den Boden werfen, obwohl sie wissen, dass sie das nicht tun sollten? Wie erreichen wir diese Menschen nachhaltig? Sind Strafen sinnvoll? Ein Gespräch mit Alice Hollenstein, Stadtpsychologin an der Universität Zürich, über Maßnahmen gegen Littering.

Vorarlberger Gemeindeverband (VGV): Jede und jeder weiß, Wegwerfen ist umweltschädlich. Und trotzdem tun es viele. Was lässt Menschen jeden Tag immer wieder so etwas tun, obwohl sie wissen, dass es nicht sinnvoll ist?

Alice Hollenstein: Zuerst vielleicht einmal: Ja, sie haben recht. Die Menschen wissen, was sie tun. Dazu gibt es eine Reihe von Studien mit dem Ergebnis: Wir alle kennen eigentlich die sozialen Normen. Damit ein Verhalten zustande kommt, müssen aber einzelne Komponenten erfüllt sein. Einerseits die Einsicht: Ich kann etwas tun. Bezogen auf Abfall ist das dann der Fall, wenn es Mülleimer gibt. Die zweite Komponente ist: Ich will etwas tun. Das bedeutet, mir ist etwas wichtig. Es kann aber dennoch sein – obwohl ich etwas kann und etwas will – dass ich meinen Abfall einfach auf den Boden schmeiße. Meistens setzt in diesem Fall die Willenskraft aus. Die Kraft, die mich im Moment des Handelns reflektieren lässt, die mir sagt: „Nein Stopp! Es ist jetzt zwar bequem, das einfach wegzuwerfen, aber ich packs lieber ein“. Wenn man überprüft, weshalb Menschen achtlos wegwerfen, dann ist immer mindestens eine dieser drei Komponenten nicht gegeben.

VGV: Heißt das, in dem Moment, in dem man etwas wegwirft, reflektiert man nicht?

A.H.: Genau. Es ist so ähnlich wie bei Süßigkeiten. Wir alle wissen, Süßes ist nicht gut für uns. Trotzdem können wir oft nicht widerstehen, wenn es vor uns steht. Auch dann nicht, wenn wir uns das vorgenommen haben. Erklären lässt sich das mit unseren zwei Arten zu denken: Dem schnellen Denken, das impulsiv ist, und dem intuitiven, das langsamer ist. Das schnelle Denken lässt uns zu den Süßigkeiten greifen oder auch faul sein, obwohl wir wissen, dass noch so viel zu ist. Das langsame Denken sagt uns „nein, mach das nicht“, „du solltest“ oder „wenn du das jetzt machst, kommt später die Belohnung“. Das steht ganz im Gegensatz zum impulsiven Verhalten, das schnelles Denken bewirkt.

VGV: Ist demnach die Moral im langsamen Denken verankert?

A.H.: Genau. Aber die Menschen unterscheiden sich auch in ihrer volitionalen Kraft. Die Willenskraft ist bei jedem unterschiedlich stark.

VGV: Kann man dieses langsame Denken stärken und wenn ja, wie kann das gehen?

A.H.: Das ist eine gute Frage. Im Grunde genommen beginnt die Prägung bereits in der frühen Kindheit und hängt letzten Endes von den Eltern ab. Es sind so Sätze wie „Das ist nicht nur Vergnügen, jetzt wartest Du einmal“ oder „Wer spielt, muss auch aufräumen“. Diese Sätze, die wir alle so gerne mögen (lacht).
Auch für die zweite Komponente, von der ich vorhin gesprochen habe – das Wollen, die Motivation, etwas zu tun – auch dafür ist das Elternhaus sehr entscheidend.

VGV: Das heißt, im Grunde genommen, müssten wir mit unseren Anti-Littering-Kampagnen bei den Eltern ansetzen?

A.H.: Ja, das ist ein guter Punkt. Aber auch die Kinder sollten im Fokus stehen. Das könnte einen Greta-Effekt bewirken. Davon spricht man dann, wenn die Kinder beginnen, ihre Eltern zu erziehen. Das betrifft aber natürlich nicht die ganz kleinen Kinder. Tatsächlich ist die elterliche Prägung aber jene, die am langfristigsten wirkt. Wenn wir als Kinder immer nach dem Spielen aufräumen mussten oder immer mit den Eltern in die Berge gegangen sind, dann wirkt das auch noch im Erwachsenenalter. Es macht also auf jeden Fall Sinn, die Eltern zu überzeugen.

Achtlos weggeworfene Plastikflaschen, Dosen usw. am Ufer - © Vorarlberger Gemeindeverband/Jürgen UlmerVGV: Gibt es Persönlichkeitstypen oder Altersgruppen, die eher zu Littering neigen?

A.H.: Zu den Persönlichkeitstypen kenne ich in diesem Zusammenhang keine Studie. Ich vermute aber, dass Menschen, die nach den Big Five, den fünf großen Persönlichkeitseigenschaften der Psychologie, einen hohen Score bei Gewissenhaftigkeit haben, dass diese weniger zu Littering neigen. Aber wie gesagt, dass ist nur eine Vermutung. Bezogen auf das Alter ergab eine 2018 erschienene Studie von Dr. Rebekka Gerlach von der Berliner Humboldt-Universität eine Häufung bei den 20- bis 30-Jährigen. Aber Litterer finden sich wirklich in allen Altersklassen. Bei Gerlach waren es sogar mehr Frauen als Männer, was mich erstaunt hat. Ich weiß nicht, wie robust diese Erkenntnis war. In der Schweiz hatten wir erst kürzlich eine Frauendemonstration. Da waren wirklich tausende Frauen auf der Straße und danach kein Müll auf dem Boden. Das war noch bei keiner Demo davor der Fall.

VGV: Gut, wie kommen wir nun an diese hartnäckigen Wegwerfer heran? Gibt es Argumente, mit denen man sie besser erreichen kann? Oder noch besser gefragt, was spricht Menschen an, damit sie ihr Verhalten ändern?

A.H.: Prävention findet auf mehreren Ebenen statt. Zunächst einmal ist es wichtig, erst gar keinen Müll entstehen zu lassen. Bei diesem Thema kann es sinnvoll sein, wenn sich Gemeinden etwa mit Lebensmittelgeschäften und Take-Away-Ketten zusammentun. Gemeinsam nachdenken, wie sie Abfall vermeiden können und gemeinsame Kampagnen durchführen. In der Schweiz hat das die Stadt Basel recht erfolgreich mit McDonalds und Migros umgesetzt. Auch die Besteuerung von Verpackungen ist eine Idee. Bern hat das einmal angedacht. Die Idee war, dass Unternehmen, die Verpackung vermeiden, weniger Gebühren zahlen.

Und Nudging ist ein geeignetes Mittel, also der Versuch das Verhalten von Menschen zu beeinflussen, ohne auf Verbote oder Gebote zurückzugreifen. Ein Beispiel dafür ist, Plastiktaschen nicht gleich bequem neben der Kasse sondern außer Sichtweite anzubieten. Oder das Take-Away einen Franken billiger zu machen für jene, die mit der eigenen Tupperware kommen. Solche Maßnahmen sind effektiv, weil sie auf zwei Ebenen wirken: Sie sensibilisieren die Leute für ein Thema und es entsteht weniger Müll. Eine weitere Ebene ist, mit Bildern, Videos und Plakaten zu sensibilisieren. Es gibt Studien, die Müllkampagnen analysiert haben. Am wirkungsvollsten waren immer die, die kreativ und informativ waren. Auf einem Plakat einer Schweizer Kampagne sieht man etwa ein völlig vermülltes Zimmer und darunter steht: Was im Wohnzimmer stört, stört auch im Park. Auf einem anderen ist ein Schwimmbad total zugemüllt und darunter steht: Was im Schwimmbad stört, stört auch am Ufer. Der Grundsatz ist der gleiche wie bei guter Werbung. Die Aufbereitung muss informativ sein und gleichzeitig emotional. Was am wenigsten funktioniert, ist das Anprangernde.

VGV: Sie meinen die Information mit einem erhobenen Finger?

A.H.: Ja, genau. Manche Studien sagen, der moralische Fingerzeig kann sogar zu Reaktanz führen. Das heißt, die Leute machen etwas erst recht. Andere Studien gehen davon aus, dass der Fingerzeig bei Littering nichts bringt, weil die Tatsache, dass das achtlose Wegwerfen schlecht ist, eigentlich schon klar ist. Wichtiger finde ich das Arbeiten mit Prompts. Das sind Hinweise direkt am Tatort.

VGV: Wir haben gelbe Pfeile, die wir weit sichtbar dorthin stecken, wo bei der Landschaftsreinigung Abfall gefunden wurde.

A.H.: Ja, das sind Prompts. Es geht darum, genau dort aufmerksam zu machen, wo etwas passiert. Prompts können ein Mittel sein, um die Lücke zwischen Wissen und Tun zu schließen. Im Grunde genommen aktiviert man damit noch einmal das langsame Denken, wenn das schnelle schon eingesetzt hat. Die Leute sind vielleicht abgelenkt, denken gerade nicht daran, wie sie sich eigentlich verhalten sollten, oder sind zu faul. Wenn dann so ein Prompt kommt, lässt das noch einmal innehalten und vielleicht nachdenken. Die Pfeile sind allerdings schon auch ein bisschen beschuldigend, das wäre meine einzige Kritik.

VGV: Helfen Strafen bei der Vermeidung von Littering?

A.H.: Ich find’s nicht schlecht. Studien dazu kenne ich zwar keine, aber eine Strafe ist ein klares Signal, dass ein gewisses Verhalten sozial unerwünscht ist. Klar ist immer: Prävention ist besser. Aber wenn es zu unerwünschtem Verhalten kommt, finde ich Strafen ein legitimes Mittel. Es kommt auf den Mix und natürlich das Ausmaß des Vergehens an.

VGV: Was können Gemeinden noch tun?

A.H.: Nicht außer Acht lassen darf man die Reinigung im öffentlichen Raum. Es gibt die Theorie der Broken Windows. Sie besagt, dass in einem verwahrlosten Gebiet oder an Orten, wo bereits Müll liegt, noch mehr beschädigt bzw. weggeworfen wird. Ein gutes Beispiel ist ein Stadtfest. Wenn der Boden bereits völlig vermüllt ist, fällt es leichter, seinen eigenen Becher noch dazu zu werfen.

VGV: Es gibt die Theorie, wenn man viele Abfalleimer aufstellt, kommt noch mehr Abfall. Ist das richtig? Sollte man eher mehr oder weniger Abfallbehälter im öffentlichen Raum aufstellen?

A.H.: In den Siedlungsgebieten empfiehlt es sich auf jeden Fall, Abfallbehälter aufzustellen. Sie müssen aber unbedingt gut sichtbar gestaltet sein. Sinnvoll ist es auch, wenn sie überall in einer Region gleich aussehen. 70 Prozent des Litterings findet laut Studien im Umkreis von 50 Metern von Mülleimern statt. In Köln hat man deshalb einen Versuch gemacht, die Eimer gut sichtbar orange zu markieren. In der Folge ging das Littering ging von 30 auf 22 Prozent zurück.

VGV: Wie geht man aber mit der Frustration um? Nachher will es immer keiner gewesen sein, trotzdem kostet die Reinigung den Gemeinden immens viel. Und wie hält man die Leute bei der Stange?

A.H.: Das ist ein komplexes Problem. Dafür gibt es nicht die eine Lösung. Man muss vielschichtig mit dem Thema arbeiten. Sinnvoll kann es sein, Littering sichtbar zu messen, also nach Reinigungsaktionen das Gesammelte zu wiegen. So sieht eine Gemeinde, wo sie steht und wie sich das Problem über die Jahre und je nach Jahreszeit entwickelt. Aufbauend darauf kann man die Maßnahmen verfeinern. Um der Frustration zu begegnen, kann es helfen, das Problem in einem langen Zeitrahmen zu betrachten. Häufig erkennt man daran, dass sich tatsächlich etwas getan hat. Ich glaube, die Menschheit entwickelt sich schon, halt einfach langsam.

VGV: Man muss also auch Geduld haben…

A.H.: Ja, wir werden immer ein bisschen besser und weniger primitiv. 

VGV: Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Alice Hollenstein MSc, ist Stadtpsychologin am Center for Urban & Real Estate Management der Universität Zürich und Inhaberin des Beratungsunternehmens Urban Psychology.

08.06.2020