Auf den Spuren der Walgauer Auswanderer

Historiker Dr. Dieter Petras hat mehr als 3000 Migrationsgeschichten bis 1914 erhoben

Armut und mangelnde Perspektiven haben im 18. und 19. Jahrhundert viele Menschen dazu bewogen, dem Walgau den Rücken zu kehren. Der Schlinser Gemeindearchivar Dr. Dieter Petras hat sich im Rahmen seiner Doktorarbeit intensiv mit diesen Menschen befasst. Anhand von alten Urkunden, Gerichtsakten, Tauf- und Sterbebüchern konnte er viele Lebenswege nachzeichnen und hat dabei erkannt: „Es gehen die Tatkräftigen, die Optimistischen.”

Neues Glück auf anderen Kontinenten

Eine schillernde Persönlichkeit ist etwa Eduard Fritz aus Ludesch, der sich ab 1897 in Deutsch-Ostafrika eine Existenz aufbaute. Er geriet während des Ersten Weltkrieges zwischen die Fronten. Als er  nach dem Krieg mit seiner Familie in die alte Heimat zurückkehrte, kannte er sein „früher so gastfreundliches Volk” nicht wieder. Man wollte ihn und seine Familie nirgends mehr haben, verweigerte ihnen Lebensmittelkarten. Trotzdem gelang es ihm, sich ein neues Leben aufzubauen. Vier Jahre nach seiner Rückkehr suchte er aber erneut das Glück in der Ferne und wanderte nach Argentinien aus. Er hatte Angst, dass seine an das afrikanische Klima gewöhnten Kinder „der Lungensucht zum Opfer fallen.” Seine Nachkommen leben heute noch in Südamerika.

Fritz Eduard 

(Foto: Fritz Eduard)

Aufregend liest sich auch die Geschichte von Jakob Häusle aus Schlins, der sich in einer Goldgräberstadt in Amerika ein neues Zuhause schuf. Er fand dort zwar nicht den erhofften Goldsegen, baute sich aber eine Farm auf, deren Gebäude heute noch an einen Vorarlberger Bauernhof erinnern. Amerikanische Verwandte von Jakob Häusle haben sich schon mehrfach in Schlins nach ihren Wurzeln erkundigt.

Fam.Haeusle  

(Foto: Familie Jakob Häusle)

Von Johann Georg Ludescher ist ein umfangreicher Schriftverkehr mit den Behörden erhalten. Der Nenzinger war nach Genua im damaligen Königreich Sardinien ausgewandert, seine Heimatgemeinde verweigerte ihm aber die Heiratserlaubnis, da er die Eltern zuhause nicht ordentlich unterstützen würde. Als er sich über das Verbot der Behörden hinweg setzte, stellte ihm die Heimatgemeinde später keinen Reisepass aus und verstieß ihn dann ganz. „Damals musste die Heimatgemeinde für die Armen im Dorf aufkommen”, erklärt Dr. Dieter Petras.

Die Gemeinden griffen so einen Anlass deshalb gerne auf, um jene zu bestrafen, die der Gemeindevorstehung auf der Tasche lagen. Mitte des 19. Jahrhunderts haben sie Arme und Kranke sogar aktiv nach Amerika verschifft. Die Gemeinden bezahlten Auswanderungsagenten, welche die Familien auf ihrer Überfahrt begleiteten. Ihren Lohn erhielten die Agenten erst, wenn die unfreiwilligen Auswanderer in Amerika von Bord gegegangen waren. „Sie sind in den fast sicheren Tod geschickt worden”, ist Dr. Petras überzeugt. „Denn Amerika war damals ein raues Pflaster. Nur die Stärksten haben überlebt.”

Auswanderer Inserat

Im Auftrag der Regio Im Walgau hat der Schlinser Gemeindearchivar Dr. Dieter Petras die Lebensgeschichte jener Menschen erhoben, die in den Jahren 1700 bis 1914 aus dem Walgau und der Stadt Bludenz ausgewandert sind.


Ein Onkel in Amerika?

Die Doktorarbeit ist ein Fundus für Ahnenforscher

Manchmal sind es nur vage Vermutungen, dass da noch irgendwo Verwandte in einem anderen Kontinent leben, die von der Oma an die Enkel weitergegeben wurden. Die Vermutung ist oft gar nicht so abwegig. Um 1700 mussten die Behörden noch eine Genehmigung erteilen, wenn jemand sein Heimatland verlassen wollte. Doch 1867 wurde das Auswanderungsverbot in Österreich-Ungarn abgeschafft. Viele Menschen in unserer Region packten die Gelegenheit beim Schopf, ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und sparten für ein Ticket nach Übersee, um der Armut zu entkommen.

Wer dieser Spur nachgehen möchte, dem bietet sich nun eine einmalige Gelegenheit: Die 400 Seiten starke Doktorarbeit ist nämlich ein Fundus für Ahnenforscher.

Nach Gemeinden geordnet, hat Dr. Dieter Petras Tendenzen aufgezeigt, aber auch die Lebensdaten jedes einzelnen Auswanderers erfasst. Wer also über seine abenteuerlustigen Vorfahren Genaueres erfahren möchte, sollte die Arbeit auf der Regio-Homepage einsehen. Unter www.imwalgau.at/Projekte/Identität  stehen die Forschungsergebnisse zum Download bereit.

Für Dieter Petras sind die Erkundungen nicht abgeschlossen. Wenn also jemand noch Urkunden, Briefe oder ähnliche Dokumente findet, welche Details über das Schicksal eines Walgauer Auswanderers Auskunft geben, freut sich der Schlinser Gemeindearchivar auf eine Kontaktaufnahme unter Tel: 0664/1875758 oder per E-Mail unter dieter.petras@aon.at


„Kreative Mitdenker” gesucht

Regio Im Walgau möchte Forschungsergebnisse für Interessierte aufbereiten

Die Entwicklung einer Gesellschaft wird wesentlich von den Aus- und Einwanderern beeinflusst. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war der Walgau eine klassische „Auswanderer-Region”. Die Menschen lebten von der Landwirtschaft und hatten kaum Alternativen. Grund und Boden waren aber nur begrenzt vorhanden. Durch Erbteilungen wurden die Flächen immer kleiner, welche eine Familie ernähren sollten. Die Situation der „kleinen Leute” änderte sich erst, als im 19. Jahrhundert erste Fabriken und damit neue Möglichkeiten zum Broterwerb entstanden.

Walgau ist heute attraktiv für „Zuzügler”

„Heute ist der Walgau sehr attraktiv für „Zuzügler”, erklärt Regio-Geschäftsführerin Birgit Werle. Der Zuzug  läuft aber nicht immer problemlos. Die Walgaugemeinden sind gefordert, Rahmenbedingungen für ein harmonisches Zusammenleben zu schaffen.

Offen für Ihre Ideen

Der Blick in die Vergangenheit soll helfen, die Entwicklungen zu verstehen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Regio Im Walgau ist froh, dass sie auf die Erkenntnisse zurückgreifen kann, die der Historiker Dr. Dieter Petras gewonnen hat, als er die Walgauer Auswanderung in den Jahren 1700 bis zum Beginn des 1. Weltkrieges untersuchte.

Die Biographien der 3065 Walgauer Auswanderer sollen nun einem breiterem Publikum zugänglich gemacht werden. „Wir sind da ganz offen”, erklärt Regio-Geschäftsführerin Birgit Werle. „Eine Wanderausstellung, etwas Gedrucktes,... alles ist möglich.” Sie lädt alle Walgauerinnen und Walgauer zum Mitdenken und Mitarbeiten ein. Interessierte können sich im Regio-Büro in Nenzing bei Gisela Jussel melden (Tel: 05525/62215-151, E-Mail: gisela.jussel@imwalgau.at ).

Projektfindung im Frühjahr

Im Frühjahr wird die Regio Im Walgau alle „Mitdenker” zu einem Treffen einladen, bei dem sämtliche Vorschläge diskutiert und weiter ausgebaut werden, bevor die Umsetzungsphase des Projektes eingeläutet wird. „Das wird sicher ein spannender Prozess”, freuen sich die Regio-Verantwortlichen auf interessante Diskussionen, spannenden „Input” und viele gute Ideen.

 

Text: Marion Hechenberger für die Regio Im Walgau


 

02.03.2017