Montafoner Gipfelkreuze

Schesaplanagipfel, ohne Gipfelkreuz, 1. Hälfte 20. Jh.

Die Gipfelkreuze gibt es noch gar nicht so lange. Erst im Jahr 1936 wurde das erste große Gipfelkreuz auf dem Piz Buin aufgestellt. 

Eine umfassende Kulturgeschichte der Gipfelkreuze ist noch nicht geschrieben worden. Trotz ihrer Omnipräsenz im alpinen Raum fehlt bislang weitgehend eine eingehende kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen markanten Gipfelzeichen.[1] Für breite Bevölkerungskreise ist die Existenz von Gipfelkreuzen so selbstverständlich wie für zahlreiche Autorinnen und Autoren einschlägiger Publikationen zu diesem Thema, die sich jedoch allzu oft auf die Abbildung und Beschreibung der besagten Objekte beschränken. Die Erklärung als religiöses Symbol genügt in diesem Zusammenhang häufig. Doch das Phänomen der Kreuzerrichtung auf Berggipfeln ist mit Sicherheit vielschichtiger und sein Motiv geht anzunehmenderweise weit über fromme Beweggründe hinaus.[2]

Grundlegend kann an dieser Stelle lediglich festgehalten werden, dass in den Alpen vor 1900 nur ganz vereinzelt Kreuze als Gipfelzeichen aufgestellt wurden. In der Frühphase des Alpinismus wurden in den meisten Fällen Fahnen oder sogenannte „Steinmännchen“ als Markierungen verwendet. Dieser Umstand verwundert nicht weiter, wenn man bedenkt, dass der Großteil der Alpinpioniere dem säkularen Bürgertum entstammte. Für diese zumeist aus dem urbanen Raum stammenden Bergsteiger haftete dem größtenteils katholisch geprägten Alpenraum der Geruch der Rückständigkeit und Borniertheit an.

Auch in der Zwischenkriegszeit wurden relativ wenige Errichtungen vorgenommen und erst in den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer regelrechten Gipfelkreuzkonjunktur.[1] Die in diesen Jahren nach 1945 aufgestellten Gipfelzeichen können zu einem Großteil der Kategorie der ‚Heimkehrerkreuze‘ zugeordnet werden. Im Krieg hatte das Symbol des Kruzifixes oft eine neue Bedeutung erlangt. Es stellte mitunter eine Materialisation von Ängsten, Erlebnissen, Taten und Hoffnungen dar.[2] So wurde etwa in der Montafoner Gemeinde St. Gallenkirch im Jahr 1949 von den Heimkehrern ein sechs Meter hohes Gipfelkreuz auf die Gweilspitze gebracht „und dort zum Andenken an die Gefallenen unserer Gemeinde aufgerichtet“. Bei der Weihe des Kreuzes durch einen Primizianten deutete dieser in seiner Predigt „den Opfersinn der gefallenen Kameraden und knüpfte daran die Verpflichtung, nun auch im Frieden im öffentlichen Leben unter dem Zeichen Christi zusammenzustehen“.[3]


Schesaplanagipfel, ohne Gipfelkreuz, 1. Hälfte 20. Jh.


Das erste große Gipfelkreuz des Landes wurde 1936 auf dem Piz Buin errichtet. Das konservative Vorarlberger Volksblatt berichtete am 15. September 1936 unter dem Titel „Kreuzzug des Reichsbundes auf den Piz Buin“ ausführlich über die Entstehungs- und Errichtungsgeschichte des neuen Gipfelzeichens:

Die Vorgeschichte.
Der Gedanke, auf dem höchsten Berge Vorarlbergs ein Gipfelkreuz zu errichten, zum Zeichen, daß dieses Land christlich ist und bleibt, allen Anstürmen der ‚Ueberwinder des Christentums‘ zum Trotz, tauchte zum ersten Male am 21. Mai 1936 am Gautag der Reichsbundjugend in Schruns auf. Landesführer Eugen Leißing verkündete seinen Gedanken und mit großer Begeisterung erhob man den Vorschlag einstimmig zum Beschluß.
Die Aufgabe wurde der Gruppe St. Gallenkirch übertragen, aber die gesamte Bevölkerung des Montafons verfolgte eifrig und mit großem Interesse die Vorarbeiten und die Organisation, um die sich HH. Doktor Feurstein in St. Gallenkirch besondere Dienste erworben hat. Schreinermeister Neyer in Schruns fertigte nun das Kreuz aus bestem Lärchenholze an. Längs- und Querbalken haben im Schnitt einen Durchmesser von 20x26 Zentimeter; der Längsbalken mißt 5 Meter, der Querbalken 2.20 Meter. Mit den Beschlägen – ein Blitzableiter ist nicht vergessen – wiegt das Kreuz fast 300 Kilo. Da es nur in zwei Stücken auf den Gipfel zu transportieren war, erhob sich die Frage, wie man vor allem den 200 Kilo schweren Längsbalken in 3316 Meter Höhe [sic!] bringen sollte. Aber die sich selbst gestellte Aufgabe war für den Reichsbund keine technische Frage, sondern eine Sache des Glaubens, eine Sühne für die Christenverfolgungen in mehreren großen Ländern, ein Kreuzzug.
Der Kreuzzug.
Und zu einem Kreuzzug voller Leiden und Opfer gestaltete sich die Ueberführung des heiligen Zeichens auf den Piz Buin. Wohl stellte die Leitung des Illwerkes ihren Schrägaufzug von Parthenen nach Vermunt zur Verfügung. Auch auf dem Rollwagen konnte das Kreuz kurze Strecken befördert werden. Aber was die 14 jugendlichen Reichsbündler im Alter von 18–24 Jahren am Samstag, 5. September, beim Tragen der beiden Kreuzteile geleistet haben, ist physisch kaum noch erklärbar, sondern nur durch den Glauben, der Berge versetzt, verständlich. Dabei waren die meisten der jungen Leute von Bregenz, Lauterach, Götzis, Bludenz, Schruns und Ludesch auf Rädern nach Parthenen gefahren, um sich dann sofort an die schwere Arbeit zu machen. Nachmittags brach ein Unwetter los. Trotzdem wurde das Werk fortgesetzt. Immer mehr Jugendliche kamen aufgestiegen, um aufopferungsvoll mitzuhelfen. Schließlich waren am Samstagabend 34 Reichsbündler in der Wiesbadener Hütte. Jeder hatte seine Kosten selbst zu tragen, aber allen leuchtete Begeisterung und stolz aus den Augen, daß sie an diesem Kreuzzug teilnehmen durften. In der Nacht fiel Schnee. Am Sonntagmorgen herrschte dichter Nebel und es schneite weiter. Das hemmte den Tatendrang der Jugendlichen selbstverständlich nicht. Verstärkt durch drei Schweizer Katholiken wurden die Kreuzesteile über die Moräne zum Gletscher geschleppt. Das war – man kann es nicht anders sagen – eine riesige Schinderei. Auf dem Ferner glitt der Stamm auf einem eigens zu diesem Zwecke konstruierten Schlitten etwas besser aufwärts. Sorgfältig mußte zwischen den Spalten laviert werden, und oft mußte der Kompaß in dem dichten Nebel zu Rate gezogen werden. Schließlich erkannte man, daß das Kreuz an diesem Tage unter so ungünstigen Verhältnissen nicht weiter als bis unters Wiesbadener Grätle zu bringen war. Die Zweifler lächelten. Sollten sie rechtbehalten? Nein! Am nächsten Samstag, 12. September, wurde der Kreuzzug fortgesetzt und am Sonntag zu gutem Ende geführt. P. Canisius Schweitzer in Schruns, Gaupräses der Reichsbundjugend, sorgte dafür, daß auch ältere Reichsbundmitglieder zur Wiesbadener Hütte aufstiegen, um ihre Kräfte voll und ganz für das Gelingen des frommen Werkes einzusetzen. Und sie kamen sehr gern. Diesmal schien der Himmel ein Einsehen zu haben. Wolkenlos blaute er als gewaltiger Dom Gottes über der schönen Silvretta. Während die Mineure Ganahl und Netzer vom Illwerk auf dem Gipfel alle Vorarbeiten für die Befestigung des Kreuzes trafen, wurde es von nur 18 Montafoner Burschen auf das steile Wiesbadener Grätle transportiert, und zwar ohne Flaschenzug oder andere technische Hilfsmittel. Was das bedeutet, vermag nur der zu würdigen, der schon einmal dort auf- oder abgestiegen ist. Diese Glanzleistung, geboren aus reinem Idealismus, wurde von einem Operateur der Selenophon-Vaterländischen Tonfilm-Gesellschaft gefilmt, denn diese Tat des Reichsbundes wird durch die ‚Oesterreichische Woche‘ weitesten Kreisen bekannt werden. Am Abend waren die Kreuzesteile bereits bis zur Buinlücke gelangt. Und als dann die Reichsbündler bei hereinbrechender Nacht zum Vermunt-Ferner abstiegen, verzichteten sie auf Fackeln. Sie steckten sie in Kreuzesform in den Steilhang am Wiesbadener Grätli und zündeten sie an. Diese weihevolle Stunde wird allen, die sie erleben durften, stets in Erinnerung bleiben. Der wunderbare Sternenhimmel, in dem sich die Gratzacken und Gipfel der blauen Silvretta türmten, der in magischem Lichtschimmer glänzende Gletscher, und das feurige Kreuz auf weißem Schneegrunde – dieses Gemälde göttlicher, erhabener Ruhe gab der Piz Buin seinen Kreuzrittern freigebig zum Geschenk! –
Am Ziel.
Am Sonntag war zeitig Tagwacht in der Wiesbadener Hütte. In der beginnenden Morgendämmerung brachen etwa 40 Männer, Frauen und Jugendliche auf, um dem höchsten Berge Vorarlbergs das Kreuz aufs Haupt zu setzen. P. Canisius machte sich pflichteifrig auf den Weg, um das Kreuz zu weihen und die Messe zu lesen. Aber der Pfad des Kreuzes ist nun einmal mit Leiden gepflastert. Ein Wettersturz ließ bald wieder wie eine Woche vorher Kälte, Sturm, Nebel und Schneetreiben eintreten, aber diesmal wurde das Werk von Erfolg gekrönt. Gewaltig mußte sich jeder einzelne anstrengen, ehe um 10 Uhr das Hauptstück, eine halbe Stunde später der Querbalken auf dem Gipfel lagen. Das schlechte Wetter machte den Plan, auf dem Buin die Messe zu lesen, zunichte. Inzwischen waren die letzten Vorarbeiten zur Kreuzerrichtung, die sich infolge der Kälte sehr schwierig gestalteten, beendet. Kurz vor 12 Uhr war der große Moment gekommen. Das Kreuz wurde aufgerichtet, und von nun an steht es, einen halben Meter im Boden verankert und von vier starken Drahtseilen gehalten, allen Stürmen trotzend, ein Wahrzeichen katholischen Glaubenseifers. Jeden Bergwanderer mahnt seine Inschrift: Oremus! – ‚Lasset uns beten!‘ Welcher Christ, der es mit seinem Glauben ernst meint, wird dieser Aufforderung in heutigen stürmischen Zeiten nicht Folge leisten? F. K.[1]

In diesem ausführlichen Zeitungsartikel wird eindeutig auf die Motive zur Errichtung des Gipfelkreuzes eingegangen: Das Gipfelkreuz sei ein Zeichen, „daß dieses Land christlich ist und bleibt, allen Anstürmen der ‚Ueberwinder des Christentums‘ zum Trotz“. Mit den Überwindern des Christentums waren im Jahr 1936 wohl in erster Linie die Nationalsozialisten gemeint. „Dem höchsten Berge Vorarlbergs [sollte] das Kreuz aufs Haupt“ gesetzt werden. Schließlich wird im Zusammenhang mit der Kreuzesinschrift im letzten Satz des Beitrags nochmals auf die „heutigen stürmischen Zeiten“ verwiesen.


[1] VV 15.9.1936, 4


[1] Scharfe 2007, 268f; für Tirol: Eppacher 1957

[2] Kunz 2012, 59 und 188

[3] Vorarlberger Volksblatt (VV) 8.8.1949


[1] Vgl. Märtin 2008, 62-80; Scharfe 1999, 97-124; Scharfe 1999, 289-336

[2] Märtin 2008, 62

20.07.2019