NEU: Die "Zelle" im Heimatmuseum

Die ehemalige Gefängniszelle im Montafoner Heimatmuseum wurde zum Thema "Zwangsarbeit" neu gestaltet.

Unter Zwang und fremd im Montafon. 

Ein Raum – eine Geschichte – ein Modell.

Ein räumliches Missverständnis

Bereits vor längerer Zeit haben die Verantwortlichen des Heimatmuseums Montafon im Erdgeschoss des Hauses einen kleinen Raum der Dauerausstellung aufgelöst, sprich ausgeräumt. Mehrere Jahrzehnte hindurch war hier eine his­torische Schulklasse inszenatorisch simuliert worden. Stattdessen sollte dieser Raum in Zukunft eine sinnstiftende Funktion erhalten, die sich von den übrigen Schauräumen und Themen des Museums deutlich abhebt. Gleichzeitig sollte der Raum eine inhaltliche Lücke der Dauerausstellung schließen.

Das Museum hat zwar in den letzten 20 Jahren zahlreiche Aspekte des Nationalsozialismus in Projekten und Publikationen bearbeitet, in der Dauerausstellung haben diese Aktivitäten bislang jedoch keine dauerhafte Verankerung erfahren. Nun jedoch hat sich die leer geräumte „Schulklasse“ speziell für die Thematik „Nationalsozialismus im Montafon“ als geeignet erwiesen – zumal seine langjährige Nutzung auch Aspekte des Nationalsozialismus tangiert.

Ausgerechnet dieser Raum diente in den 1930er und 1940er Jahren als Gefängniszelle des Bezirksgerichtes, und hier waren während der Zeit des Nationalsozialismus zahlreiche Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter inhaftiert. Einige dieser Insassen haben auch bleibende Spuren bzw. Botschaften im Raum bzw. am Ofen hinterlassen, die immer noch zu sehen, größtenteils auch verifizierbar sind.

Speziell diese historische Nutzungsform, dramatisch belegt durch die verbliebenen Spuren, hat sich als authentischer Erzählrahmen erwiesen und zum Entschluss der Museumsverantwortlichen geführt, diesen Raum zukünftig für Frage- und Themenstellungen des Nationalsozialismus dauerhaft nutzen zu wollen.

Den Raum neu definieren

So nahe liegend die Verbindung zwischen NS- Thematik und historischer Raumnutzung auch sein mag, so knapp ist (in einer Arrestzelle naheliegend) die räumliche Dimensionierung. Auf einer Fläche von wenigen Quadratmetern gilt es, eine möglichst straffe inhaltliche Fokussie­rung anzustreben. Einerseits, um diesen sehr kleinen Raum nicht allzu sehr mit einer thematischen Breite zu überfrachten. Andererseits, um offen zu blei­ben für neue Erkenntnisse, Projekt- und Forschungsergebnisse – immer den Zeitraum des Nationalsozialismus betreffend.

Aus unserer Sicht (in Übereinstimmung mit dem Museumsleiter) war es deshalb nahe liegend, diesen Raum im Sinne austauschbarer Themen-Module zur NS-Zeit zu definieren. Der Raum kann beispielsweise besuchernahe Einblicke in aktuelle Forschungsarbeiten zur NS- Zeit gewähren und dabei auch ein Selbstverständnis des Hauses glaubwürdig vermitteln. Der Raum kann laufend Projektergebnisse dokumentie­ren, und die hier dargestellten Aspekte können durch thematisch rele­vante Sichtweisen und Geschehnisse aus unserer Zeit in einen aktuellen Bezugsrahmen zur NS-Zeit gestellt werden.

All dies kann dem Raum am ehesten wohl den Charakter einer Versuchsanordnung verleihen – als Si­gnal, dass das Museum die Zeit des Nationalsozialismus weniger als statisches Thema behandelt, vielmehr eine dauerhafte Auseinandersetzung mit dieser Materie anstrebt, praktiziert und präsentiert. Diese Herangehensweise würde auch ermöglichen, den thematischen Fokus – langfristig gesehen - auf unter­schiedliche Phänomene der NS-Zeit zu richten, ohne dabei relevante Aspekte dauer­haft ausklammern zu müssen.

Ein Prototyp mit Modellcharakter

In Abstimmung mit der Museumsleitung widmet sich die erste Neupräsentation in der einstmaligen Gefängniszelle – ab nun ist es im Rahmen der Dauerausstellung „DIE ZELLE“ - dem Thema „Zwangsarbeit im Montafon“. Die Wahl ist in erster Linie dem Bemühen geschuldet, der bislang missverständlichen und irritierenden Raumzuordnung (als Schulklasse mit Nostalgieeffekten) die tatsächliche Nutzung dieses Raumes während der NS-Zeit dauerhaft ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Zudem sieht sich das Montafoner Heimatmuseum mit seinem Talschaftsarchiv mittlerweile durchaus in der Lage, die Thematik „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ auch unter regionalen Gesichtspunkten eindrücklich darstellen zu können. Es gibt nicht nur lebendige Erinnerungen und authentische Spuren aus dieser Zeit, es gibt auch Archivalien, Zeitzeugen-Interviews und nicht zuletzt einen fotografischen Fundus, aus dem eindrucksvolle und ausdrucksstarke Erzählbilder generiert werden können.

Vom ursprünglichen Ansinnen, auch in diesem Raum nach konventionellem Präsentationsmuster einschlägige Ausstellungsobjekte mittels Paneelen, Vitrinen und Hörstationen zu präsentieren, haben wir allerdings bald Abstand genommen. Die ZELLE entwickelt – speziell in ihrer Leere – eine überraschende und ganz eigentümliche Atmosphäre. Die Leere begünstigt Imaginations- und Denkräume. Und die Leere lässt den Blick frei werden für zahlreiche, fast verborgene, verblasste und verwischte Spuren ehemaliger Insassen.

„Ich sitze und ich weiß nicht warum“ hat die hier inhaftierte ukrainische Zwangsarbeiterin Dudnyk Nascha in den Ofen der Zelle geritzt. Solche Botschaften, ab nun an uns alle gerichtet, geben der ZELLE und ihren einstmaligen Insassen eine sehr spezielle Präsenz und bieten damit die Chance, den Raum selbst - mittels Freilegung und Freistellung der Wände und des Ofens – als authentisches Lektüreangebot wirken zu lassen.

 

Erzählerische Dichte, zeitliche Dehnung

Einzig das Licht von zwei Beamer-Projektoren berührt die kahlen Wände. In diesen belichteten Erzählfenstern wird die Geschichte von Zwangsarbeiterinnen im Montafon mittels Bild-Text-Collagen erzählt. Sie werden ins Licht gerückt, und verschwinden wieder, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen.

Hier hat der Künstler Stoph Sauter ein eindrucksvolles Modell geschaffen, wie mit sparsamsten medialen und finanziellen Mitteln, mit denkbar unscheinbaren Exponaten, eine nahezu filmische Wirkung erzeugt werden kann, obwohl die dafür verwendeten Vorlagen „nur“ Fotos, Dokumente und Textmodule sind. Trotzdem entsteht eine subtile und suggestive mise-en-scène – Wirkung[1].

Stoph Sauter nutzt bei seiner Bildsetzung alles, was historische SW-Fotografien in ihrer statischen Schlichtheit an Wirkungsintensität zulassen: Bildgestaltung in der medialen Projektionsfläche, Lichtgestaltung, Arrangements der Figuren und Dinge im Bild, Umgang mit Raum und Tiefe mittels Fokussierung etc. Für Stoph Sauter steht die Schaffung einer eigenen Wirklichkeit im Vordergrund, die, intensiviert durch den Einsatz von kurzen Optiken, von Tiefenschärfe und langen Einstellungen, als Prinzip eines filmischen Realismus gesehen werden kann.

Schließlich lädt der Raum, bei einer größtmöglichen formalen Reduktion, dezidiert zum Verweilen und Vertiefen ein. Erinnern braucht Zeit, und die Erzählformen in der ZELLE ermöglichen eine „Wahrnehmung unter der Zeitlupe.“ Nicht nur die beiden Erzählebenen der Wandprojektionen haben viel zu erzählen, auch die spartanische Möblierung in der Mitte der ZELLE bietet vertiefende Einblicke in diverse Aspekte der Zwangsarbeit im Montafon: Zwei Tablets laden ein, in diesen digitalen Büchern individuell zu lesen, zu schmökern, zu verweilen. Hier sind es ganz besonders Originalzitate von ehemaligen Zwangsarbeitern, die ein authentisches Erinnerungsmilieu schaffen.

Einziges raumfüllendes Element ist die Stimme des einstmaligen Zwangsarbeiters Nikolaus Telitschko; sehr leise zwar, bei Bedarf jedoch gut vernehmlich. Nikolaus Telitschko ist jener Zwangsarbeiter, der nach dem Weltkrieg im Montafon geblieben, und erst vor wenigen Jahren in der Gemeinde Bartholomäberg gestorben ist.

Zukunft der ZELLE

Während die ZELLE nun also ihre Wirkung entfalten kann, gibt es bereits Pläne des Museums, diesen Raum mittelfristig auch mit anderen Aspekten des Nationalsozialismus zu bespielen. Besonders die reiche Materialsammlung zum Thema Flucht und Fluchthilfe wird bei solchen Planungen eine wichtige Rolle spielen.

Und der Modellcharakter der ZELLE wird zunehmend zur Methode.

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Autor: Bruno Winkler

Veröffentlicht unter: Bruno Winkler, Unter Zwang und fremd im Montafon. Ein Raum – eine Geschichte – ein Modell, in: Michael Kasper (Hg.), Jahresbericht 2018. Montafoner Museen, Heimatschutzverein Montafon, Montafon Archiv, Schruns 2019, S. 44-46.

Siehe für aktuelle Infos die Website zur ZELLE


[1] mise-en-scène stammt ursprünglich aus dem Theater. Der Begriff wurde in der Filmkritik André Bazins in den 1940er und 1950er Jahren zu einem zentralen Terminus der Filmästhetik.

08.06.2019